Diese kurze und doch so intensive gemeinsame Zeit führte zu einem Vertrauensverhältnis zwischen der Pflegerin und Familie Poggenpohl, das bis heute anhält.
Familie Poggenpohl und die Palliativpflegerin Sandra Bergemann (zweite von links) haben bis heute freundschaftlichen Kontakt
Palliativpflege kennt kein Happy-End. Sie bedeutet: Versorgung bis zum Ende eines Lebens, das von schwerer Krankheit geprägt ist. Sandra Bergemann von der Caritas-Sozialstation Schwerte-Holzwickede hat sich auf diese besondere Form der Pflege spezialisiert. Die 39-Jährige versucht in ihrem Beruf, den Alltag der betroffenen Menschen und oft auch den der Angehörigen so angenehm wie möglich zu gestalten.
Als Sandra Bergemann im Herbst 2012 die Palliativpflege für Werner Poggenpohl übernahm, hatte die ganze Familie bereits einen über zweijährigen Leidensweg mit hoffnungsstiftenden Höhen und niederschmetternden Tiefen hinter sich. Ein besonders gefährlicher Gehirntumor, ein so genanntes Glioblastom, teilte das Leben der bis dahin von bedrohlichen Sorgen verschonten Familie in ein Davor und ein Danach.
Ein epileptischer Anfall zu Beginn, Untersuchungen, die schockierende Diagnose, die Klarheit, dass es keine Heilung geben wird. Kein Unfall, keine vorübergehende Krankheit, die irgendwann ausgestanden sein würde. Stattdessen eine Prognose von erschütternder Bestimmtheit.
Bestrahlung und Chemotherapie bringen am Anfang trotzdem Erfolg. Nach monatelanger Krankschreibung tastet sich Werner Poggenpohl in seine Arbeit als Maschinenbautechniker zurück. Die Augen seiner Söhne Lukas (25) und Julian (27) leuchten, als sie davon berichten, dass ihr Vater 2011 noch mal ein ganzes Jahr durchgängig arbeiten konnte.
Bei einer Kontrolluntersuchung im Januar 2012 stellen die Ärzte ein Rezidiv fest - das Glioblastom ist wieder da. Diesmal gibt es keinen Weg zurück in die Normalität. Der Ehemann von Sabine Poggenpohl (heute 56) und der Vater von Lukas und Julian bleibt nun zuhause. Eine erneute Bestrahlung bringt zwar etwas Stabilität, doch Werner Poggenpohl wird zusehends schwächer. Im Frühling wird ein weiteres Rezidiv festgestellt. Der für den Sommer geplante erneute Bestrahlungszyklus wird schließlich abgesagt - der neue Tumor ist in nur zwei Wochen um das Vierfache gewachsen, und Werner Poggenpohl hat plötzlich Lähmungserscheinungen. Nach der lebensverlängernden Entfernung eines Schläfenlappens kommen schwere Sehstörungen hinzu.
"Ab dann ging alles sehr schnell", berichtet Sabine Poggenpohl. Nach und nach verliert ihr Mann seine körperlichen Fähigkeiten. Werner Poggenpohl wird zum Pflegefall. Und seine Frau muss schnell handeln. Beratung suchen. Die MDK-Prüfung veranlassen. Hilfsmittel beantragen. Die Wohnung barrierefrei umbauen. Einen Pflegedienst auswählen. Ihre Wahl fällt auf die Palliativ-Versorgung der Carita-Sozialstation in Schwerte. Fortan teilen sich Sabine Poggenpohl und Palliativ-Schwester Sandra Bergemann die Versorgung des schwer kranken Mannes. Das setzt den offenen Austausch ohne Scheuklappen voraus. Jeden Morgen such die Pflegerin zunächst das Gespräch mit dem erkrankten Mann und dann mit Sabine Poggenpohl, um so gut wie möglich auf aktuelle Wünsche und das sich ständig ändernde Befinden eingehen zu können. "Offenheit und Ehrlichkeit - gerade was die individuellen Wünsche angeht - sind in der der Palliativpflege so wichtig", sagt Sandra Bergemann. Die Zusammenarbeit funktioniert von Beginn an bestens. Und sie schweißt zusammen. Gemeinsam müssen beide den Niedergang von Werner Poggenpohl erleben. Seine letzten Worte vernehmen, bevor er auch die Sprachfähigkeit verliert. Akzeptieren, dass der ehemals so vitale Mann nicht mehr aus dem zweiten Stockwerk des Reihenhauses hinabsteigen kann.
Aber Sandra Bergemann und Sabine Poggenpohl teilen auch die seltenen guten Momente. Sie erinnern sich mit einem Lächeln an die spitzen Witze, die er bis zum Verlust seines Sprachvermögens zum Besten gab oder seine Vernarrtheit in den Heizlüfter im Bad. "Er mochte es so gerne warm. Das hat er genossen", erzählen die Palliativpflegerin und die Ehefrau.
Während der Pflegebedarf fast täglich steigt, organisiert Sandra Bergemann ein wachsendes Netz aus Hilfen für Werner Poggenpohl und seine Familie. Dazu gehören etwa der Palliativdienst aus Unna und der Schwerter Verein für Trauer- und Sterbebegleitung "Brücke".
Am Ende ist Werner Poggenpohl friedlich gestorben. Ohne Kampf und ohne Schmerzen. Auch das gehört zu den Aufgaben einer Palliativ-Spezialistin wie Sandra Bergemann. Dieses Ende ist nun fast dreieinhalb Jahre her, und noch immer verarbeiten Sabine Poggenpohl und ihre Söhne den Verlust. In dieser ist der Kontakt zu Sandra Bergemann nie abgerissen. "Wir vertrauen uns blind", sagt Sabine Poggenpohl. "Wenn wir uns sehen, unterhalten wir uns wie beste Freundinnen", ergänzt Sandra Bergemann. Natürlich haben beide unterschiedliche Perspektiven auf die gemeinsame kurze Zeit. Und doch haben diese wenigen Wochen zwischen 2012 und 2013 ein starkes Band zwischen den Frauen hinterlassen. Fast so, als würde die Palliativpflege, die ja auch die Angehörigen entlasten soll, auch über den Tod hinaus ihren wertvollen Dienst tun.